Freitag, 11. Januar 2008

Schein und Sein

Blickst du gelassen auf die Welt,
dann hast du schnell mal festgestellt,
dass alles, was dir deucht real,
in Wirklichkeit - es ist fatal -
ist weiter nichts als blasser Schein.
Du sagst dir dann, es kann nicht sein,
denn alles, was ich glaub zu fassen,
kann ich im Grunde offen lassen.

Kaum dass ich mir ein Bild gemacht,
kommt einer, der mir rät: "Gib acht!
Nichts, was dir wahr und wirklich scheint,
ist von der Wirklichkeit geeint,
als Wahrheit unumstößlich echt."
Im Gegenteil. Ist's gut, ist's schlecht?
Oft ist er weit entfernt, der Schein,
vom echten unumstritt'nen Sein.

Nimm beispielsweise einen Mann,
der griesgrämiger nicht sein kann.
Du denkst, er ist ein alter Scherben,
der hofft, so schnell wie's geht zu sterben.
Dabei ist er, sobald die kleinen
Enkel in seiner Nähe greinen
ein Vorzeig-Opa erster Klasse,
der allerbeste in der Gasse.

Oder blick' zum Himmelszelt,
das gleichförmig umspannt die Welt.
Die Sterne scheinen regungslos.
Und doch, der Eindruck, er ist bloß
ein trügerischer Schein: Den Sternen
ist eigen, dass sie sich entfernen.
Und einige - ist's Fluch, ist's Segen -
kommen uns rasend schnell entgegen.

Oder nimm Banknoten. Geld
ist übermächtig auf der Welt.
Was steckt denn hinter den Geldscheinen,
von denen wir geduldig meinen,
sie stünden da für Wohl und Stand,
sie wär'n für Leistung gutes Pfand.
Sie wär'n für Investment bereit,
für Glück und Unabhängigkeit.

Es ist der Glaube ganz alleine,
der unscheinbare bunte Scheine
zum "Wertpapier" macht. Der Geld-Schein
ist doppelt an-greif-bar im Sein:
Zum Einen kann man ihn anfassen,
betasten, riechen, fallen lassen.
Und man kommt zweifelsfrei zum Schluss,
dass dieses Ding wohl "seien" muss.

Zum And'ren fragt man sich beklommen,
wie ist der Wert hinein gekommen?
Der Wert, der sicherstellt, dass man
sich mit dem Ding "was leisten kann".
Die Leistung, denkt man, steckt gefroren
in des Geldscheines feinen Poren.
Wie viel davon, es klingt verrückt,
steht bunt in Ziffern aufgedrückt.

Es ist der Glaube an die Kraft
der Notenbanken, der es schafft,
unser aller emsig Streben
gegen bunten Schein zu geben,
und dass zirkulierendes Geld
zum Motor wird für diese Welt-
wirtschaft. Lasst uns jetzt nicht vergessen,
man kann die Geldscheine nicht essen.

Macht's Sinn ein Leben lang zu laufen,
um diese Zettel anzuhaufen?
Wie wär's damit, sie zu benützen,
Erlebbares zu unterstützen?
Letztlich wird doch aus jedem Schein
erst dann echtes fühlbares Sein,
wenn sich die Leistung irgendwann
aus dem Papier entfalten kann.

So viel zum Geld-Schein. Doch im Grunde
hat Sein und Schein noch eine Kunde:
Egal, welches Bild wir uns machen,
es bleibt beim Schein: Schlicht alle Sachen,
die SIND bild-en wir in uns ab.
Ein-Bild-ung nennt man's kurz und knapp.
Das Substantiv (Namenwort, Nomen),
das diene uns als warnend Omen.

R@iner, 11.01.2008

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